Erinnerungsprojekt "Stolpersteine" 2021

Am 03.11.21 und 04.11.21 fanden in Leipzig und in Naunhof die feierlichen Verlegungen von insgesamt fünf Stolpersteinen statt, die das Ergebnis des erinnerungspolitischen Projektes von SchülerInnen der 10ten und 11ten Klasse des Freien Gymnasiums Naunhof waren.

Jedoch: „Für wen und warum ist eine Stolpersteinverlegung eigentlich von Bedeutung?“

Diese Fragen werden sich einige Schulklassen vor und vielleicht zum Teil auch noch nach dem erlebten Schulprojekt gestellt haben. Vielleicht gelingt ein Verständnis darüber weniger durch eine Sicht in die Zeit der hierbei gedachten Familien, sondern mit einer Umsicht auf unsere Zeit.

Nachfolgend einige Gedanken aus der diesjährigen Rede des Bundestagspräsidenten Dr. Wolfgang Schäuble zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus:

„Juden lebten [hier], lange bevor es Deutschland gab. Ihre Geschichte ist Teil der deutschen Geschichte – aller ihrer Kapitel. Der hellen wie der dunkelsten. […] Die deutsch-jüdische Geschichte ist eine Geschichte der Widersprüche. […] Und sie kennt ein Menschheitsverbrechen: Den Versuch, die jüdische Geschichte nicht nur aus der deutschen, sondern aus der Weltgeschichte zu tilgen. […]

Nach der Shoah erschien jüdisches Leben in Deutschland unmöglich, sogar als Verrat. Wer in Deutschland überlebt hatte, dem war die alte Heimat fremd und unerträglich geworden. Wen die Nachkriegswirren nach Deutschland zwangen, den zog es meist so schnell wie möglich weiter: in die Vereinigten Staaten oder nach Palästina, später Israel. […] Heute gibt es wieder ein vielfältiges deutsch-jüdisches Leben. Ein unglaubliches Glück für unser Land, das wir uns immer wieder neu verdienen müssen. Wir verdanken es auch den vielen jüdischen Zuwanderern, die sich bewusst für Deutschland entschieden haben. Ausgerechnet für Deutschland! […] Die Zuwanderer haben neue Familiengeschichten mitgebracht. Und neue Erwartungen an unser Land. […] Die Geschichte ist gegenwärtig. Für die Nachfahren der Überlebenden. Und für alle anderen Deutschen. Sie geht uns alle an!

An Gedenktagen wird stets Verantwortung angemahnt. Aber werden wir ihr eigentlich gerecht? Auch bei uns zeigen sich Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit wieder offen, hemmungslos – und gewaltbereit. Jüdische Einrichtungen müssen von der Polizei geschützt werden. Juden verstecken ihre Kippa und verschweigen ihre Identität. In Halle entkam die jüdische Gemeinde nur durch einen Zufall einem mörderischen Anschlag. Nach Jahrzehnten der Zuwanderung denken deutsche Juden über Auswanderung nach. Das beschämt uns! Es ist niederschmetternd, eingestehen zu müssen: Unsere Erinnerungskultur schützt nicht vor einer dreisten Umdeutung oder sogar Leugnung der Geschichte. Sie schützt auch nicht vor neuen Formen des Rassismus und des Antisemitismus, wie sie sich auf Schulhöfen, in Internetforen oder Verschwörungstheorien verbreiten.

Als Roman Herzog vor 25 Jahren den 27. Januar zum Gedenktag erklärte, verband er damit „die Hoffnung, (…) Formen des Erinnerns (zu) finden, die zuverlässig in die Zukunft wirken.“ Was für Herzog eine Hoffnung war, ist heute dringende Notwendigkeit. Wir müssen die Formen des Erinnerns erneuern.“

(Dr. W. Schäuble, 27. Januar 2021)

 

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Mit dem Aufklären über die Überzeugungen und Verbrechen des Nationalsozialismus sowie dem Erzählen über und Erinnern an das Schicksal der europäischen Juden scheint es demnach nicht getan. Es braucht menschliche Haltung, verstandene Verantwortung und couragierte Bereitschaft zur Initiative jedes einzelnen, um mit dem Wissen über die Vergangenheit unsere Gegenwart und Zukunft mitzugestalten. So lassen sich auch die Stolpersteine für die Familie Jolowicz in der Ferdinand-Rhode-Straße 28 in Leipzig und für Herrn Robert Arthur Niesar in der Schloßstraße 1 in Naunhof nicht nur als Mahnung des Früher verstehen, sondern als Steine des Anstoßes für eine notwendige Auseinandersetzung mit dem Heute.

Um diese uns allen gestellte Aufgabe abschließend mit den Worten des Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier vom Januar 2020 auszudrücken:

„Meine Sorge ist, dass wir die Vergangenheit inzwischen besser verstehen als die Gegenwart.“

 

(C. Behzad und F. Heilmann)

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